Uraufführung der Oper „Stilles Meer“ von Toshio Hosakawa. Dezente Lichtwellen in den Rängen, das Hamburger Publikum als Meer, auf der Bühne Hinterbliebene der Katastrophe von Fukushima. Ein kleiner Roboter auf der Bühne verkündet: „Sie befinden sich in der sicheren Zone“. Allein das gab es lange nicht in der Hamburger Staatsoper: Ein aktuelles Gefühl für die Wirklichkeit. Denn das mit der sicheren Zone erledigte sich längst. Sicher ist nichts mehr (und war es vermutlich nie), auch nicht in der Staatsoper. Mag Fukushima fünf Jahre zurück liegen, dem Komponisten Toshio Hosakawa gelingt mit seinem Auftragswerk etwas auf die Bühne zu bringen, das in Nachrichten und Dokumentationen selten Platz findet: Empathie, Mitleiden aus tiefstem Herzen. Ob das Wehklagen von Claudia (Susanne Elmark), der Deutschen, die Mann und Sohn im Tsunami verloren hat und vor allem den Tod des Sohnes nicht verwinden kann, oder die choral-artigen Gebete der Dorfbewohner (der Chor ist unglaublich! Gut!). Aus dem Orchestergraben steigt eine eigene Welt, die im besten Fall mit jedem Ton, jedem Schlag die Gefühle gebrochener Menschen, vielleicht sogar die Gefühle einer ganzen Nation sichtbar macht. Hosakawa findet für das leider etwas schwergängige Libretto eine eigene Musiksprache, die zwar hier und da auch spätromantische Klänge zulässt, insgesamt aber wie ein aktuelles Gebet zur Lage der Welt erklingt. Die Bezüge zum japanischen No-Theater erschließen sich ausser der Handlung nicht ganz, denn es wird weder abstrakt getanzt und auch Masken kommen nicht ins Spiel, ohnehin ist alles eher realistisch. Vielleicht liegt genau da das Problem: Dass in einer Oper über die Fukushima-Katastrophe eine Claudia und ein Stephan (Countertenor Bejun Mehta sieht leider aus wie Pep Guardiola) die Hauptrolle einnehmen und über ihre Familienproblematik singen, mag der Versuch sein, eine ferne Katastrophe dem Hamburger Publikum nahe zu bringen, degradiert aber dadurch das Leid der unzähligen japanischen Opfer, die eben nicht wie Claudia zurück nach Deutschland können, zur Randerscheinung. Wäre nicht notwendig gewesen. Warum „Stilles Meer“ trotzdem eine rundherum empfehlenswerte neue Oper ist? Weil Sie Gedanken und Gefühle anstößt, zur Diskussion herausfordert und womöglich auch Menschen erreichen und berühren wird, die sonst nicht in die Oper gehen. Oder, um es mit der verzweifelten Claudia zu sagen: „Seht die Wirklichkeit, die Ihr nicht seht.“
„Stilles Meer“ von Toshio Hosokawa
Inszenierung: Oriza Hirata
Bühnenbild: Itaru Sugiyama
Kostüme: Aya Masakane
Licht: Daniel Levy
Dramaturgie: Janina Zell
Uraufführung am Sonntag 24.01.2016
Staatsoper Hamburg
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